Wenn um dich herum reife Herren auf aerodynamischen Carbon-Werbeflächen munter dahin kurbeln und dabei aussehen, als könnten sie jederzeit für eine Tanzeinlage bei Justin Timberlake auf die Bühne springen, dann weißt du, du bist bei einer RTF.
So einer fährt links vor mir, schwarzes Cervélo-Trikot, schwarze Radhose, reckt sich über seine schmale Körpermitte plaudernd zu dem Mann zu seiner Rechten, Reifen-Baumann, Radsport Königs-Wusterhausen.
Links neben mir ein sehr großer Mensch auf einem schwarzen Storck-Rad (gibt es die überhaupt in anderen Farben?), ich bin fast froh, dass seine Laufräder lautstark knattern, denn ich muss die ganze Zeit „Storckriese“ denken, etwas Substanzielleres fällt mir nicht ein. Ich bin eingekeilt, es ist kurz nach acht am Morgen, und irgendwie langsam rollen wir raus aufs Land.
Der Himmel ist schon bedeckt, als ich sehr früh nach Lichterfelde aufbreche. Eigentlich wollte ich so gern wieder mal mit M. fahren, aber wir geben derzeit das „Vom Winde verweht“ des Radfahrens. Ist der eine guten Willens, dann ist der andere verreist, oder genesend, oder sonstwie nicht abkömmlich.
Regen soll es geben, und eigentlich könnte ich auch direkt umkehren und mir für den Rest des Tages die Decke über den Kopf ziehen. Aber das habe ich schon letzten Sonntag gemacht, also kurve ich an Gründerzeitbauten entlang in die Berliner Banlieue und überfahre aus Einsamkeit alle roten Ampeln.
Die Beine sind nicht das Problem, die sorgen schon selbst für sich. Es hat sich aber ein Zähneklappern eingestellt, wenn es um mehr als 130 Kilometer geht. Ein dünnes Stimmchen behauptet, das gäbe Probleme, Schmerzen, keinen Spaß. Ein Stimmchen, das die Schweinekatze sonst zum Nachtisch verputzt, aber die ist, wie so gern mal mitten im Sommer, einfach abgetaucht.
Nur die 110er-Runde habe ich heute vor, einmal nach Süden, Blankenfelde, Kummersdorf, bis kurz vor Luckenwalde und über Trebbin zurück. Mal was anderes sehen, mal ein Hinterrad haben. Dazu kuschelige 20 Kilometer Hin- und Rückfahrt, unterm Bedenkenradar hindurch geschmuggelt.
Der Radsportverein Lichterfeld-Steglitz hat eine angenehm hemdsärmlige RTF auf die Beine gestellt. Als ich eine halbe Stunde zu früh eintreffe (die Turnhalle ein beängstigender Klon derjenigen in Buch), stehen noch die Kisten mit Bananen und Zitronenteekörner für die Kontrollpunkte herum.
Zum Start stellt sich ein Vereinsmensch vorne hin und bittet uns, die StVo ein- und die Pulks kleinzuhalten, damit es keinen Ärger gibt. „So, die ersten zehn können los“, werden wir ohne großes Aufheben auf die Strecke gewunken.
Langsam fährt die Truppe, zu langsam, ich eingeklemmt zwischen Storck und Cervélo, weiter vorn die Primärfarben der Berliner Radvereine, Sparkassen-Rot und Semper-Blau, Blankenfelde in Gelb, und die panafrikanische Farbpalette der Iduna. Ein bunter Lindwurm wälzt sich träge über die Straßen von Teltow.
Dann fahr‘ halt vor, denke ich, und gleich darauf, spinnst du, was kümmert es dich, ist es nicht ganz fantastisch, wenn es einmal gemächlich losgeht?
Das Problem ist, ich weiß nicht, was ich hier soll, auf dem Rad, neben Menschen, die ich nicht kenne, und neben denen ich nur einher fahre, weil die halt auch auf Rennrädern unterwegs sind. Hab das Verago immer als Ausrede fürs Alleinfahren genutzt, die Schalthebel am Unterrohr, die störrischen Bremsen.
Gut 100 Kilometer, das wird doch gehen. Vielleicht schweigt der Mann neben mir nur, weil er auch noch ein wenig verschlafen ist. Oder weil ich so mürrisch gucke. Vielleicht sind wir langsam, weil alle Schweinekatzen abtrünnig sind.
Bei Gottow ein Abzweig, links oder rechts, Uneinigkeit, ich sehe das Schild, biege rechts ab, plötzlich bin ich vorn. Hinter mir rauscht es leise, fünfzig Mann im Rücken, etwas löst sich, etwas wird frei. Jetzt bloß nicht gleich übertreiben!
Einer im Rad-am-Ring-Trikot schließt auf. Den habe ihn vorhin schon über den Tharandter Wald-Radmarathon sprechen hören, jetzt erkenne ich ihn wieder. Im Erzgebirge sind wir auf der gleichen Höhe herumwürgt, mal er vor mir, mal umgekehrt, und nun will er wissen, was ich so fahre, ich wäre doch sicher viel in den Bergen unterwegs?
Ja, denke ich, sehr viel in den Bergen, vor allem in den Teufelsbergen! Aber egal, das Eis ist gebrochen, der Puls hüpft, und da ist noch Saft unter der Haube, wo soll der auch auf einmal hin sein?
Wir fahren auf feinem Asphalt, über niedrige Wellen, die freundliche Größenordnung, in die ich mich gern kopfüber stürze, zusammen mit den französischen Kleinkindern, wenn ich am richtigen Tag am Atlantik bin. Heute trete ich drüber, kein Problem.
Vor mir surrt es, hinter mir surrt es, gedämpftes Geplauder oder schweigsames Miteinander. Cervélo hat den gleichen Radcomputer. Eine Blankenfelderin und ich gelangen nach vorn und kitzeln die Herren an der Ehre. Dieser Blick nach hinten, die Reihen entlang. Vorne ist anstrengend, vorne ist toll!
Die Dörfer fluppen vorbei, alle Stunde ein Halt, süß, süß, Schmalzbrot, süß, so mag ich die Verpflegung, Waffeln, Bananen, Müsliriegel. Die Gruppe stempelt zusammen, die Gruppe isst zusammen, die Gruppe bleibt zusammen.
Irgendjemand sagt, das sei heute so angenehm, alle fahren gleichmäßig und ordentlich Zweierreihe, alle geben Zeichen, und ich denke bei mir, das stimmt. Keiner führt sich auf.
Und so finde ich mich unversehens auf der linken Spur wieder, als sich die Strecke ein letztes Mal teilt, und biege mit fünfzehn Mann auf die 150er-Runde ein. Die vierzig Kilometer noch mitnehmen, locker mitrollen im Feld, vielleicht noch mal nach vorn, echter Regen ist das auch nicht, und das Stimmchen kann mich jetzt mal!
Die Zelos-Frau sagt, sie vergisst auf dem Rad alles um sich herum, und demonstriert es sogleich, indem sie 32 km/h ansagt und 34 hält. Sie plaudert dabei noch lässig, mir geht langsam die Puste aus, noch ein bißchen, noch kurz, noch zwei Kilometer, mein letzter Strohhalm, immer noch kurz weitermachen, wenn eigentlich nichts mehr geht … und sie redet und merkt nichts, der Kilometerzähler in Zeitlupe, noch ein kleines bißchen, noch ein paar hundert Meter …
Ich bin raus, sagt sie plötzlich. Ach, vielen Dank, ich auch!
Nun reicht es auch, die letzten Kilometer fahre ich schön hinten, vorne rutschen gerade zwei auf der regennassen Fahrbahn weg, zum Glück nichts passiert, man wartet, man hilft beim Einsammeln von Flasche, Pumpe, Lenkerstopfen.
Alle da? ruft jemand, als es weiter geht, ganz manierlich, rein nach Berlin, und da ist plötzlich schon wieder das Sportgelände, wie schnell die Stunden und die Strecke in Gesellschaft vergangen sind.
Danke für die Gruppe! ruft der Zelos-Mann von vorn, als wir uns an der letzten roten Ampel versammeln. Jo, det war jut! kommt es aus dem Feld zurück.
Na dit finde ick ooch!
Distanz der RTF: 149 km (und lauschige 36 Kilometer hin und zurück)
Geschwindigkeit RTF: 31 km/h (Anmerkung für den Coach: Höhö!)
Reine Fahrzeit RTF: 4:48 h
Fahrzeit RTF inklusive Gruppenstempeln: nicht drauf geachtet
Tour auf Komoot mit gruselig gleichmäßigem Geschwindigkeitsprofil
Danke an den Radsportverein Lichterfelde-Steglitz für eine Strecke mit viel Flüsterasphalt und wenig Verkehr und für eine Verpflegung, die für alle gereicht hat!
20/07/2016 at 22:13
Hallo, ich bin der im Text beschriebene Vereinsmensch. Es freut uns natürlich, dass Dir unsere RTF gefallen hat. Sehr schöner Bericht. Ich hoffe wir sehen uns im nächsten Jahr bei besserem Wetter wieder. Grüße Michael
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20/07/2016 at 22:51
Hallo Michael, danke für Deinen Kommentar! Das Wetter war doch okay, nicht zu heiß, ab und an eine kurze Erfrischung. Wenn es zeitlich rein passt, gern im nächsten Jahr, ist ja wunderbar terminiert für eine Sommerferienlücke!
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20/07/2016 at 22:25
Mann, wat schnell! So ein Randonneur schaut dann ganz neidisch auf den Schnitt. Da müsste ich mich ganz schön lang machen. Aber die Kollegen im Radsportornat, das ist schon manchmal köstlich. Da sind Marken und Outfit manchmal wichtiger als Fitness. Du hast das so schön beschrieben. Da find ick mir juut wieder. Danke!
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20/07/2016 at 22:57
Na Dietmar, wenn’s auch gleich über 1.000 Kilometer sein müssen, wer ist da schon noch schnell? Ich habe aber auch gestaunt, wie so eine Gruppe beschleunigt, habe ich ja nicht so oft. – Freue mich schon sehr auf Teil 2 DEINES Berichts! Ich habe letzte Woche immer wieder auf der Website nach den Zwischenzeiten geschaut, das war ja spannender als die Tour…
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20/07/2016 at 23:43
heute habe ich für Henning und sein Endurace eine Sugino 46/30 Kurbel montiert, Hinten 32er Ritzel. Dann eine Supernova E3 Pro, ein neues Hinterrad von Komponentix. Ich denke, jetzt ist er gerüstet für seine TransCon nach Istanbul. Henning läßt sich als „Krisenfotograf“ von Nichts verschrecken. Ab nächster Woche also den Henning nachverfolgen. Alle TN haben einen Transponder dabei.
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21/07/2016 at 13:06
Ist notiert! Die Übersetzung klingt schon mal nach geeignetem Rüstzeug. Ich werde mitfiebern, samt Anhang, und die Daumen drücken, das alles gut geht. Ist ja schon reichlich mutig in der aktuellen Lage.
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21/07/2016 at 13:40
Der Veranstalter hat vorsorglich ein Alternativziel in Griechenland eingeplant, soviel zur Einschätzung der Lage
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25/07/2016 at 12:26
Meine Güte! Deine Schreibe ist echt zum Niederknien! Danke dafür! Freue mich auf weitere Radtouren und deren Texte von Dir.
Gruß
Christoph
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25/07/2016 at 12:53
Hallo Christoph, das ist ja mal ein tolles Kompliment, vielen lieben Dank! Ich gebe mir weiterhin Mühe 🙂
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27/07/2016 at 8:23
Takeshi!
Da hast Du wohl einen Typ2-Zug gebaut, was!?
Diesen Moment, wo man sie alle hinter sich spürt -nicht sieht, kaum hört, nur spürt- den finde ich auch immer wieder kribbelig.
Lese ich da ein kleines Sommertief heraus? Sowas hatte ich in den beiden letzten Jahren irgendwie. Auf den ersten Blick eingeleitet durch die unsägliche Zwangspause des familiären Sommerurlaubs, bei näherer Betrachtung vielleicht einfach auch nur eine normale Ermüdungserscheinung des nicht-professionell trainierten Jedermann-Körpers auf die Ich-bin-Supermann-Euphorie nach dem Ende des Winters und der Zeit, wo der Sommer einen endlich doch mit Wärme beglückt.
Heimlich spiele ich mit dem Gedanken, dieser leichten Müdigkeit nachzugeben, um in der Spätsaison dann umso frischer wieder dazusein. Ob das klappen kann ist aber zweifelhaft, zumindest muß ich mich ein wenig beeilen damit, denn diese Spätsaison beginnt bei mir spätestens am 21. August.
Na, auf jeden Fall klingt das nach einer dieser sehr typischen RTFs, bei denen man sich zu Beginn echt fragt, warum man das macht: Pappkartons, grauer Himmel und der Geruch von Schüler-Turnschuhen!
Wo bleibt denn da der Glamour?
Und genau den (oder ein ganz verwandtes, zumindest schönes Gefühl) findet man dann am Ende in den Beinen und in dem Teil von Herz&Hirn, der mich dieser Zeiten so oft fragt: „Radsport! Warum hast Du eigentlich fast vier Jahrzehnte gewartet, bis Du damit begonnen hast!?“
Gruß!
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27/07/2016 at 23:16
Lieber Blog-Brieffreund Landsat, Deine Kommentare übersteigen einfach die knappe Zeit meiner Mittagspause!
Du hast recht, es war ein Zug gemäß Deiner Typisierung, ich wollte das eigentlich auch verlinken, dann habe ich es wieder vergessen. Der Zug hat sich aber selbst gebaut, ich war das nicht. Auf jeden Fall höchst interessant und wirklich ein großer Spaß, wenn auch eine echte Konzentrationssache!
Und das mit dem Sommertief hast Du wiederum feinsinnig erkannt. Ist bei mir auch nicht das erste Mal. Es scheint mir nach etwas ausgiebigeren Strapazen aufzutauchen. Da glaube ich dann, jetzt bei der nächsten Ausfahrt bitteschön topfit zu sein, bin aber wohl noch am Erholen und es ist dann zäh und schwupp gibt das so ein Zähneklappern.
Aber so bleibt es auch spannend – immer gut drauf und toll dabei wäre doch öde!
Bleibt zu fragen, was am 21.08. passiert – oder ist das „nur“ Eurer Sommerferienende? Bis dahin könntest Du doch die Buben in den Hänger packen und etwas Ausdauerkraft-Training machen. Die feuern Dich doch bestimmt an 😉
Gruß zurück!
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