Die Regenmacher sind wieder unterwegs, stelle ich mit Blick auf die angesagten Temperaturen griesgrämig fest. Olbia, in den ersten drei Tagen konstant ein Grad kälter als in Berlin. Und Regen. Was das soll, fragt man sich da. Hat man als Urlauber nicht ein Vorrecht auf schönes Wetter?

Wir haben uns in diesem Jahr für Sardinien entschieden, die Aussicht auf italienische Küche wirft Korsika und Portugal aus dem Rennen. Eine Runde über die Nordhälfte der Insel soll es werden, geplant anhand verschiedener Radtouren, welche die Digital Library von Sardinien praktischerweise vorstellt. Jeden Tag ein bißchen über hundert Kilometer und gute 1.000 Meter hoch, am vierten Tag die Königsetappe und noch was draufgepackt.

Auch für „Normalos“ machbar, wie der Coach sagen würde, und uns bleibt Zeit für Urlaub zwischendurch. Pause an den Bars, nach dem Fahren ablegen („Muskeln bilden“, nennen M. und ich das, nach einem meiner Ex-Chefs. Unvergessen die Bodybuilder-Magazine, die sich in der Tasche des Firmen-Laptops fanden, wenn der den hatte! Man kann auch von den Normalos was lernen), am späten Nachmittag Campari, auch mal das Gesicht in die Sonne halten, nicht nur die Rückseite der Waden.

Wenn da Sonne wäre.

Als wir aus dem Flieger steigen, ist es trocken, aber kalt. Auf der Insel wäre uns das nicht passiert, wird die Mallorca-Fraktion wieder unken. Als ob der Hürzeler auch noch das Wetter bestimmt.

Canyon dieses Mal, Plaste-Räder. Fasse ich sonst nicht an. Dieses hier, ein Canyon Endurace CF 9.0, gefällt mir aber eigentlich ganz gut, wenn man über das billige Geräusch hinwegsieht, das leichtes Klopfen am Rahmen erzeugt. Schön proportioniert, erstaunlich geringes Gewicht, und ich sitze gut drauf. Bis auf die Sattelstütze, die ist zu hoch. Habe vergessen, das bei der Bestellung der Räder noch einmal anzumerken, und Nicola von SardiniaCycling führt natürlich keine beliebige Größenauswahl in dem Lieferwagen mit sich, mit dem er die Räder zum Flughafen geschafft hat. Beim Hürzeler wäre das nicht passiert!

Wir tauschen die von M.s Rad, und sie passt, meiner Meinung nach, für gute 500 km wird das schon gehen. Nicola sieht es anders. Wir kämen auf unserem Weg an seinem Stützpunkt vorbei, 40 Kilometer bis dahin („Wir sind in einer Stunde da!“ wirft M. ein), da könnten wir sie tauschen. Sowieso einer der nettesten Radverleiher, mit denen wir bisher das Vergnügen hatten. Fragt, was wir vorhaben, gibt uns Tipps zu den Straßen, will wirklich dass die Räder passen.

Ein halbes Bikefitting später reicht es aber, ich bin nicht zum Quatschen um 6 Uhr in den Flieger gestiegen. Jetzt erst mal Gepäck dran und fahren. M. macht sogleich auf kurz-kurz, und ich muss zugeben, die Sonne brennt doch schon jetzt am Morgen.

Sardinien. Unendliche Weiten. Schön wär’s. Wir kurven im Hinterland der Costa Smeraldo herum, das zwar nur mit Flüsterasphalt-Straßen verbaut ist, sich aber ein bißchen langweilig anlässt. Ich habe gar nicht so richtig Lust. Verwöhnt, denke ich so. Mal schnell auf die Insel fliegen nur zum Radfahren, und nicht mal dankbar. Aber ich bin müde, mir ist kalt, und Komoot kriegt es mal wieder nicht gebacken. Noch heute Abend bestelle ich so ein Garmin, schwöre ich, wenn es im B&B W-Lan gibt. Wenn. Inzwischen zählen wir mit, wie oft wir noch den Kreisel in der zweiten Ausfahrt verlassen sollen. Untrügliches Zeichen dafür, dass es die Falsche war.

Und dann öffnet sich der Blick auf das Meer.

Aus einem Campingwagen heraus verkauft einer belegte Panini. Macht sie frisch zurecht, schneidet langsam und wortlos Schinken, Pecorino, Tomaten. Die Salamis baumeln von der Decke. Es dauert so lange, wie es halt dauert. Eine kleine Mauer, die Sicht.

So kann es doch bleiben.

Bis die Wolken kommen, Regnen soll es noch. Ein wildes Auf und Ab sind die Straßen an diesem ersten Tag. Nicht wirklich steil, aber ein Rhythmus findet sich nicht. Und so reichen 104 Kilometer völlig aus, als wir am Nachmittag Santa Teresa die Gallura am nordöstlichen Zipfel der Insel erreichen, eine unspektakuläres Städtchen, touristisch geprägt, Eisdiele, Restaurants. Unser Wirt hört nicht auf zu quasseln, ist das hier so etwas Landestypisches? M. übernimmt dankenswerterweise die Konversation und lässt sich geduldig in die Bedienung der Klimaanlage und sämtlicher hauseigener Schlüssel einweisen.

Wir haben einen kleinen Balkon für die verschwitzten Sachen, wir haben einen Restaurant-Tipp. Wir haben die leckersten Nudeln vor uns, die ich mir vorstellen kann, als Regen und dann Hagel draußen herunter brechen. Etwas bange schauen wir uns an. Das wird doch die nächsten Tage nicht so werden?

Der erste Morgen unterwegs beginnt mit Dolci. Kekse, Kuchen, Toast und Marmelade. Besonders stolz ist man auf die mit Ricotta gefühlten und frisch frittierten Ravioli, über die warmer Honig fließt,  sardische Spezialität. Beim Hürzeler gäbe es sicher auch Müsli, Obst und Rührei. Und natürlich keine Schauer.

Heute: Zurückgesetzt von der Küste in Richtung Westen, die letzten 30 Kilometer dann wieder am Meer entlang, immer schön gegen den Wind.

Es wird wilder, die Straßen etwas schlechter, das Auf und Ab länger, und es gibt weite Blicke über das Gelände. Schafe, Dickicht, sonst ist da nicht viel. Fast kein Verkehr, das ist uns schon gestern aufgefallen. Wenig verbaut die Landschaft. Wir ducken uns vor dem Wind, und allmählich kommt die Entspannung, setzt dieses einfache, frohe Gefühl ein, aus eigener Kraft und mit überschaubaren Habseligkeiten unterwegs zu sein.

Zwei etwas lederne Schokocornettos und ein Cappuccino in einem Ort namens Badesi, die Dolci vom Morgen halten nicht lange vor. Es nieselt ein bißchen, das ist erträglich.

Mühsam schrauben wir uns den ersten etwas längeren Anstiege des Jahres hoch. Nach dem Winter erscheinen mir schon 150 Höhenmeter endlos, ich frage mich, wie ich jemals mehrere tausend an einem Tag fahren konnte.

Aber das Abfahren jetzt wieder. Lang gezogene Abstiege auf wohlgeformten Straßen, kein Bremsen, die Prozente wohl genutzt. Hinter den Dünen entlang, irgendwo fahren wir auf einem Holzsteg direkt hinunter an den Strand. Es ist wie im Süden. Kann der Hürzeler auch nicht besser!

Regen auf den letzten Metern vor Porto Torres, unserer zweiten Station. Eine unerträgliche Anhäufung von Gebäuden am Meer, mehr Industrie als Mensch. Prompt hatten wir etwas außerhalb Agriturismo gebucht. In den Bewertungen wurde das Essen gepriesen, und gestern erst haben wir den Hinweis entdeckt, Achtung, kein Restaurant dabei.

Etwas unsicher schleichen wir über den verlassenen Asphalt des Industriegebiets. Hier soll sich die Übernachtungsstätte verbergen? Na schönen Dank, die Aussicht auf verrostete Lastenheber und Seilzüge ist nicht mal industrieromantisch. Dann jedoch liegt der Hof weiter draußen, fast 120 Kilometer haben wir hinter uns. Muhen, Wiehern und Bellen zur Begrüßung.

Ob es etwas zu Essen gäbe, fragt M. Wir können Brot, Käse, Schinken bekommen. Und Rotwein? Ja, natürlich, Canonnau di Sardegna? Den Rest der Reise wird M. mir den Riesenbatzen Ricotta vorhalten, den ich an diesem Abend ganz allein verspeist habe. Am gleichen Tag hergestellt, zergeht auf der Zunge! Draußen tobt unterdessen wieder Regen, im Februar und März sei es zu trocken gewesen, erklären unsere Gastgeber. Sie sind froh über das rettende Wasser auf den Feldern. Wie können wir da egoistisch auf trockenes Fahren hoffen?

Still ist es auf dem Hof, noch nie in meinem Leben scheine ich so tief und fest geschlafen zu haben wie auf Sardinien.

Noch ein paar Kilometer fahren wir am dritten Tag (schon!) gegen den steifen Wind, dann haben wir kurz nach dem ersten Cappuccino den nordwestlichsten Punkt unserer Tour erreicht und drehen ab in Richtung Süden.

Die Gegend! Von den Anhöhen der Blick über das karge Land, die schnurgerade Straße wie mit dem Lineal gezogen. Wie auf diesen Bildern aus den amerikanischen Nationalparks, nur ist der Grundton hier grün statt rot.

Am Mittag strahlender Sonnschein, endlich weg mit den Beinlingen. Faul sitzen wir auf der Stadtmauer von Alghero, ein gemeinsames Panini, eine kalte Cola. Unter uns das türkisfarbene Meer, hinter uns die rosa Wimpel vom Giro d’Italia, der in wenigen Tagen hier durchrauschen wird.

Und schon haben wir unsere Kilometer auf dieser Reise halbiert, werden die Küste bald verlassen und uns ins Landesinnere schlagen.